Vierte Übung – Erweiterte Melodik II

Nach der Darstellung, wie mit W und D das melodische Element sich dem harmonischen zugesellt, werden in der vierten Übung weitere Melodieformeln eingeführt.

Arbeitsmaterial

Das für die dritte Übung bereitgestellte Arbeitsmaterial wird unverändert übernommen.

Arbeitsvorschriften

Eine der neuen Melodieformeln ist der sogenannte Vorhalt (¯V). Seine Bauweise lässt sich wie folgt beschreiben:

Unmittelbar vor einem betonten Taktteil erklingt einer der guten Zusammenklänge der Gruppe A. Er dient als ungespannte, die nach­folgende Spannung sanft einleitende Vorbereitung.

Indem die Gegenstimme sich stufen- oder sprungweise fortbewegt, während die andere liegen bleibt, bilden die beiden Stimmen nunmehr ein im Klangwert minder gutes Intervall aus der Gruppe B.

Die in einem solchen Intervall beschlossenen Anspannung des Klanges verlangt nach seiner »Auflösung«, d. h. nach einer Rückführung in eines der guten Intervalle. Dies geschieht durch einen b2- oder M2-Schritt der bis dahin liegenden Stimme. Der nun eingetretenen Ton ist vorgehalten worden.

Für die Verwendung des ¯V sind folgende Vorschriften zu beachten:

Regel 38 Der ¯V steht in der Regel auf einem betonten Taktteil, immer aber auf einem wichtigeren Taktteil als seine Auflösung. Seine Vorbereitung umfasst ganz oder zum Teil die ihm vorangegangene Zähleinheit des Taktes.
Regel 39 Die Auflösung erfolgt nach unten, und zwar durch einen M2- oder b2-Schritt.
Regel 40 Der Zeitwert der Vorbereitung soll nicht geringer sein als die Hälfte vom Zeitwert des Vorhaltes selbst.
Regel 41 Durch ¯V entstehende nachschlagende Parallelen von P8, P5 und P4 werden als echte Parallelen angesehen und sind deshalb verboten. Auch nachschlagende verdeckte Parallelen dieser Art sind zu vermeiden.

Die zweite neue Melodieformel ist die Vorausnahme (V¯), die sich folgendermaßen beschreiben läßt:

Die V¯ ist das Gegenstück zum ¯V. Beim ¯V wurde der in der bewegten Stimme neueingetretene Ton vorenthalten, bei der V¯wird er früher als zu seiner eigentlichen Eintrittszeit erreicht; er wird vorausgenommen.

Für sie gilt folgende Arbeitsvorschrift:

Regel 42 Die V¯ steht stets auf schlechtem Taktteil und ist von kurzem Zeitwerte.

Die letzte der in dieser Übung neu eingeführten Melodieformeln wird als Nebenton (N) bezeichnet und hat folgende Eigenschaften:

Der N besitzt sämtliche Merkmale eines ¯V, dem die Vorbereitung fehlt.

Mit der Feststellung der gemeinsamen Eigenschaften von ¯V und N besitzen sie die gleichen Anweisungen. Dem N fehlen lediglich die Vorschriften über die Vorbereitung. Ebenso wie der ¯V steht der N in der Regel auf betonter, jedenfalls auf besserer Taktzeit als die ihm nachfolgende Auflösung.


Fehlerhinweise, Kommentare und Anregungen sind mir herzlich willkommen.

Letzte Aktualisierung: 2012-08-15